Sie sind hier:

Entwicklung des TI-Messengers: zwischen guten Aussichten und Hindernissen

Profilbild von Mark Langguth

Der TI-Messenger (TIM) verspricht schnelle und umfassende Kommunikation im Gesundheitswesen. Was braucht die Anwendung für eine starke Performance? Über die aktuelle Entwicklung des TI-Messengers sprechen wir mit Mark Langguth, Unternehmensberater mit Schwerpunkt Telematikinfrastruktur. Er betreibt u.a. das Portal TI-Community und war 12 Jahre für die gematik GmbH in leitender Position tätig.

Der TI-Messenger ist in der Entwicklung und soll in diesem Jahr bereitstehen. Welche Erfolgsaussichten hat er?

Grundsätzlich sind die Voraussetzungen für TIM hervorragend. Er bietet großes Potential als flächendeckende, einrichtungs- und sektorübergreifende Messaging-Anwendung im Gesundheitswesen, schließt in der nächsten Ausbaustufe außerdem Versicherte und Krankenkassen ein. In der Versorgungslandschaft Deutschlands besteht großer Bedarf für eine Anwendung, über die so einfach wie mit WhatsApp aber datenschutzkonform, zielgerichtet kleinere Sachverhalte einrichtungsübergreifend schnell und formlos abgeklärt werden können. TIM kann, gerade durch sein Automatisierungspotential, ein Riesen-Gamechanger werden. Trotzdem wird seine Einführung eine Herausforderung sein. TIM kann nur erfolgreich sein, wenn er in einer guten Form startet.

Was macht diese gute Form aus? Welche Anforderungen sollte der TI-Messenger erfüllen?

Für TIM sollte als Ziel, wie für alle Produkte, gelten: „useful, usable, delightful“, der Messenger sollte also nützlich, anwendbar und ansprechend sein. Anwendungen der Gematik haben in diesen Bereichen in der Vergangenheit häufig Schwächen gezeigt. Es muss verhindert werden, dass dies bei TIM erneut passiert. Häufig sind es Datenschutzvorgaben, die eine gute Usability, aber teilweise auch den Nutzen einschränken. Aber auch eine mangelnde Beachtung der täglichen Arbeitsprozesse der späteren Nutzer, in die sich die Lösung nahtlos integrieren können muss, war oftmals ein Problem. Die Anwendbarkeit des Messengers muss entsprechend auf die Bedürfnisse der Nutzer ausgerichtet sein. Das heißt beispielsweise, dass er konkrete Entlastung in administrativen Bereichen bringt. Außerdem sollte es Spaß machen, TIM zu nutzen. Die Anwendung muss einfach zu bedienen sein. Ein zeitraubender oder umständlicher Gebrauch gefährdet die Akzeptanz, wie die initiale Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) zeigt. Die ePA ist an sich eine gute Sache, aber Rahmenvorgaben und Implementierungen erschweren bislang die einfache Nutzung.

Auf welche Weise lässt sich der TI-Messenger nützlich, anwendbar und ansprechend gestalten?

Die Konzeption und Entwicklung sollte eng am Endnutzer, am Versorgungsprozess verlaufen, idealerweise gemeinsam mit Vertretern der späteren Nutzergruppen als sogenannte Co-Creation. Als Messenger für die Gesundheitsbranche – im Gegensatz zum Consumer-Messenger WhatsApp – muss er ganz konkret die spezifischen Bedürfnisse der Branche erfüllen. Es ist essentiell für Personen mit unterschiedlichen Rollen und Arbeitsweisen im Gesundheitswesen gezielt zu prüfen, wie sie TIM wertstiftend in ihren Praxisalltag integrieren könnten. Das umfasst die Perspektive der MFA wie die der Ärztin – ob angestellt oder in Leitungsfunktion. Ebenso sollten vom Physiotherapeuten (auch von unterwegs) über die Hebamme bis hin zum Team in der Apotheke alle nach ihren (Arbeits)Bedürfnissen mit TIM kommunizieren können. Aber auch auf Einrichtungsebene gibt es signifikante Unterschiede, z.B. zwischen den Bedarfen der Mitarbeiter sowie der Organisation einer Klinik und den Mitarbeitern und der Organisation einer niedergelassenen Arztpraxis. Ich habe an der Entwicklung eines Ärzte-Messengers zusammen u.a. mit niedergelassenen Pädiatern gearbeitet. Dort wurde deutlich, dass Niedergelassene ihre Kollegen im lokalen „Netzwerk“ oft mit kleinen Fragen erreichen wollen, ohne telefonieren zu müssen. Auch spannend die Frage: Wie läuft es ab, wenn ein Arzt oder eine Apotheke eine Arztpraxis gleichzeitig mit Fragen zu drei verschiedenen Patientinnen kontaktiert? Ärzte werden nicht immer direkt antworten können. Lässt sich im Messenger einrichten, dass Anfragende eine Antwort z.B. über die Zeitslots erhalten, in denen der angefragte Arzt üblicherweise antworten kann? Gibt es die Möglichkeit zum Hervorheben von dringenden Anfragen? Diese fachkonzeptionelle Arbeit der TIM-Ausgestaltung fehlt zurzeit leider noch. Diese sollte über MockUps bereits während der Konzeption frühzeitig mit Vertretern der späteren Nutzergruppen aktiv verprobt und anschließend über ein Pilotprojekt getestet werden. Hier bietet das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz neue Spielräume für die gematik für die Erprobungs- und Einführungsphasen neuer Anwendungen.

Wie lässt sich die Akzeptanz von TIM erhöhen?

Der erste Aufschlag des Messengers muss stimmen. Er muss nicht perfekt sein, aber ein ordentliches Arbeiten ermöglichen: intuitive Bedienung, gute Performance, robustes und fehlerfreies Verhalten. Ansonsten wird man es schwer haben, die Nutzer in einem zweiten Anlauf von TIM zu überzeugen. Wichtig ist außerdem zügig die kritische Menge zu gewinnen, damit TIM überhaupt einen erlebbaren Nutzen als Messenger entfalten kann. Hier unterscheiden sich einzelne Gruppen. Im Bereich der Klinik sind Messenger bereits durchaus etabliert. Wenn es dort heute gut läuft, werden die Einrichtungen nicht so einfach zu TIM wechseln. Hier müssen Mehrwerte durch einen Systemwechsel für die Klinik erkennbar sein. Im niedergelassenen Bereich, wo Messenger bislang eher weniger verbreitet sind, muss die Awareness für den Nutzen im niedergelassenen Bereich überhaupt erst einmal aufgebaut werden. Beispielweise durch prozessorale Unterstützung aus und mit der Klinik, an die sie viel überweisen oder auch die geordnete Unterstützung zur Klärung spontaner Fragen mit anderen niedergelassenen Kollegen. Dafür müsste sich jemand mit den ganz konkreten fachlichen Use-Cases beschäftigen, in denen TIM Mehrwerte generieren könnte. Hier wird es auch sehr stark um die Unterstützung lokaler Netzwerke mittels TIM gehen. Am Ende braucht es immer einen Verantwortlichen, der Zug auf die Plattform bringt. Bei TIM sehe ich denjenigen bislang (noch) nicht.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Langguth!

Weitere Blogbeiträge

Verwandte Artikel