von Thomas Zimmermann, Geschäftsführer BioArtProducts GmbH
Es gibt inzwischen unzählige digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), wie beispielsweise Gesundheits-Apps für Patient*innen mit Angststörungen, Migräne oder Krebs. Meist bieten die Apps Hilfen zur Ernährung, Bewegung, Entspannung oder zum Medikamentenmanagement und dem Führen von Symptomtagebüchern. Doch wie wird bei solchen digitalen und auch analogen Medizinprodukten nachgewiesen, dass sie sicher sind und einen Nutzen haben, der mögliche Risiken überwiegt? Hierfür müssen sie eine klinische Bewertung durchlaufen. Die klinische Bewertung ist ein zwingend erforderlicher Teil des Konformitätsbewertungsverfahrens für Medizinprodukte. Wenn es allerdings ein sowohl technologisch als auch der Zweckbestimmung nach vergleichbares Produkt gibt, das bereits klinisch bewertet wurde, kann man sich als Hersteller hierauf beziehen. Ist dies nicht möglich, muss eine klinische Prüfung durchgeführt werden. Produkte der Risikoklasse 1 bis max. 2a können sich eventuell von einer klinischen Prüfung befreien lassen (siehe auch „Neue Medical Device Regulation – was Software-Hersteller wissen sollten“)
Wo finde ich die Vorgaben für klinische Prüfungen?
Die Anforderungen an klinische Prüfungen für Medizinprodukte beschreibt die seit Mai 2021 gültige Medical Device Regulation (MDR) in Anhang XV. Hier wird z.B. gefordert, dass die klinische Prüfung eine angemessene Zahl von Beobachtungen umfassen muss, damit wissenschaftlich gültige Schlussfolgerungen gezogen werden können. In Abschnitt 3 geht die MDR auf die geforderten Inhalte eines klinischen Prüfplans ein und beschreibt das Design der klinischen Prüfung. Hier werden der „Nachweis ihrer wissenschaftlichen Belastbarkeit und Aussagekraft“ sowie die zu berücksichtigenden Parameter und Einflussgrößen benannt. Diese Prüfungen sind dann gemäß Art. 61 MDR und unter Berücksichtigung des Standes der Technik unter Zuhilfenahme der Anforderungen der ISO 14155 durchzuführen.
Worin liegen die praktischen Herausforderungen?
Top 1: Test-User akquirieren
Je nach Einsatzszenario und Indikation müssen geeignete Ärzte, Patienten bzw. auch andere Anwender als Test-User identifiziert und akquiriert werden. Idealweise erklären sich die Test-User kostenfrei dazu bereit, weil sie die künftige Anwendung dann in Ansätzen mitgestalten und früh von der medizinischen Neuerung profitieren können. Hersteller sollten die Akquise von Test-Usern sehr früh beginnen. Je nach Anwendung gibt es auch nur eine geringe Anzahl an überhaupt geeigneten Test-Usern, bzw. bei Anwendungen für eher seltene Erkrankungen.
Top 2: Proben erfordern zusätzlichen Aufwand
Eine besondere Herausforderung sind alle klinischen Prüfungen, in denen neben Probanden auch Proben, wie z. B. Blut- oder Speichelproben, nötig sind. Diese Proben sind für den Nachweis des Nutzens der Anwendung erforderlich. In einigen Fällen kann dies sogar mit einem medizinischen Eingriff verbunden sein. Um die Proben zu erhalten, müssen die Probanden zunächst einwilligen, dass sie Proben für die klinische Prüfung bereitstellen. Es muss ein Konzept für die Logistik des Sammelns, Transports, der Lagerung und der Auswertung der Proben entwickelt und dokumentiert werden.
Top 3: Fallzahlplanung
In der MDR steht nicht konkret, wie viele Test-User für eine bestimmte klinische Prüfung erforderlich sind. Wie wissen Hersteller also, wie viele Test-User und auch Proben erforderlich sind für eine belastbare Aussage auf Basis der erhobenen Daten? Die Zahl sollte weder zu niedrig (= keine Aussagekraft) noch zu hoch (= kostenintensiv) sein. Hierbei hilft die Fallzahlplanung. Für bestimmte Bereiche gibt es Normen oder Leitlinien-Dokumente, die helfen, den Stichprobenumfang zu ermitteln.
- Der Anhang A der Norm ISO 14155:2020 „Clinical investigation of medical devices for human subjects – Good clinical practice“ spezifiziert die Informationen, die in einem klinischen Prüfplan enthalten sein müssen. Genauere Hinweise zum statistischen Design, einschließlich der Fallzahlberechnung, gibt der Anhang A.7 der ISO 14155:2020.
Falls keine anwendbare Fallzahlberechnung vorliegt, muss der Hersteller die Fallzahlplanung selbst für die beabsichtigte Studie und das zu erreichende Studienziel durchführen lassen. Diese Leistung bieten meist Biostatistiker an. Diese statistischen Überlegungen werden anschließend im Prüfplan festgehalten und müssen so angewandt werden.
Top 4: Prüfplan früh stellen
Für klinische Prüfungen von Medizinprodukten muss fast immer ein Genehmigungsantrag gestellt werden. Nur bei Produkten mit geringem Sicherheitsrisiko können sich Hersteller von der Genehmigungspflicht befreien lassen (s. Verordnung über klinische Prüfungen von Medizinprodukten (MPKPV)). Zur Bewertung eines Antrags auf Genehmigung einer klinischen Prüfung sollen die Prüfer gemäß der MDR u. a. die Zuverlässigkeit und Belastbarkeit der im Rahmen der klinischen Prüfung gewonnenen Daten bewerten.
Zentrale Elemente eines Genehmigungsantrags:
- Statistischer Ansatz
- Studiendesign
- Methodische Aspekte
- Probenumfang
- Gewählte Komparatoren (Vergleichsprodukt/e)
- Votum einer Ethikkommission
- Wahl der Endpunkte
Für den Genehmigungsantrag Prüfplan muss also schon früh klar sein, wie die klinische Prüfung genau ausgebaut werden soll. Wichtig ist, dass er später auch so umgesetzt wird.
Fazit
Im Vergleich zu den vorigen Anforderungen (MDD und MPG, siehe auch „Neue Medical Device Regulation – was Software-Hersteller wissen sollten“) fordert die Medical Device Regulation (MDR) deutlich häufiger, dass die Hersteller eigene klinische Daten für ihre Produkte generieren und aufrechterhalten müssen. Die Menge an erforderlichen klinischen Prüfungen steigt auch deswegen, weil viele Produkte mit der MDR eine höhere Einstufung in der Risikoklasse haben und die Hersteller daher nachträglich klinische Studien durchführen müssen. Es ist ihnen zu raten, sich sehr früh und genau mit den Themen rund um die klinische Prüfung zu beschäftigen und unter anderem eine systematische Studien- und Fallzahlplanung vorzubereiten. Wenn solche zentralen Elemente nicht vorhanden sind, kann die zuständige Behörde eine klinische Studie nicht genehmigen. Dies kann die Hersteller viel Zeit und Geld kosten.
Sie möchten mehr über die klinische Bewertung von Medizinprodukten erfahren? Wir beraten Sie gerne: digitale-medizinprodukte.de