von DI Dr. Johann Krocza, MSc, Geschäftsführung HSE365.at GmbH
Im Mai 2021 ging, mit mehr als einem Jahr Verzögerung, die europäische Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, im Folgenden kurz MDR genannt) an den Start. Diese für alle Mitgliedsstaaten der EU rechtlich verbindliche Verordnung löst die bisherige, gesetzlich nicht bindende Richtlinie MDD (Medical Device Directive) ab. Darüber hinaus gibt es in jedem Staat ein die MDR noch ergänzendes Medizinproduktegesetz. Für Deutschland wird dieses gerade novelliert. Besonders den Bereich der Software-Produkte betreffen wesentliche Änderungen. Die wichtigsten Neuerungen der MDR im Überblick:
- Software ist aktives Medizinprodukt: Mit der MDR muss Software als aktives Medizinprodukt deklariert werden. Bisher war es möglich, Software als ein „inaktives Medizinprodukt“ unter der Risikoklasse 1 zu deklarieren. Damit waren die Anforderungen deutlich geringer. Beispielsweise wurde bei der Zulassung des Produkts keine benannte Stelle benötigt. Bei der Entwicklung und auch der Konformitätsprüfung ist nun mindestens die Risikoklasse 2a zu berücksichtigen. Bisher nach Klasse 1 zugelassene Software-Produkte, meist solche aus dem Sport- und Wellnessbereich, können zwar noch 3 Jahre lang unverändert vertrieben werden, müssten aber eigentlich vom Markt genommen und neu zugelassen werden. Auch wenn ein Produkt beispielsweise nur der Prävention oder dem Monitoring von Menschen dient, muss es als Medizinprodukt zugelassen werden. Viele Hersteller möchten die MDR-Zulassung ihrer Produkte aus Kostengründen vermeiden, was aber gefährliche Haftungsrisiken mit sich bringen und strafbar sein kann.
- MDR gibt Zertifizierung von Produkt und Unternehmen vor: Im Rahmen der MDR sind zahlreiche einzuhaltende Normen vorgegeben. Die für die Entwicklung von Softwareprodukten wichtigste Norm ist die Norm 62304. In ihr ist vorgegeben, wie die Software zu entwickeln und dies zu dokumentieren ist. Neben den auf das Produkt bezogenen Gesetzen und Normen gelten auch Vorgaben, die sich auf das Unternehmen beziehen. Ab dem Beginn der Softwareentwicklung muss das Unternehmen ein Qualitätsmanagementsystem mit einem Risikomanagement einsetzen (EN ISO 13485 für das QMS und EN ISO 14971 für das Risikomanagement) und seine Prozesse entsprechend zertifizieren lassen. Man kann die MDR-Zertifizierungen von Produkt und Unternehmen gleichzeitig durchführen. Für eine Erst-Zertifizierung ist dies aber nicht empfehlenswert, weil schlimmstenfalls das Qualitätsmanagementsystem des Unternehmens nicht zertifizierbar ist und damit die bereits erfolgte Produktentwicklung umsonst war. Da empfiehlt es sich, vorab eine 13485-Zertifizierung des QMS durchzuführen, und erst nach deren Erfolg die MDR-Zertifizierung. Die MDR-Zertifizierung muss immer an eine konkrete Produktentwicklung verbunden sein und mit jedem neuen Produkt neu zertifiziert werden. Möchte man mehrere Produkte zulassen, kann man sie in Kategorien zusammengefasst anmelden. Das erleichtert die Zulassung, da dann nur Teile der Einzelprodukte neu zugelassen werden müssen.
- Post-Market-Surveillance: Die MDR enthält umfangreiche Vorgaben für die sogenannte „Post-Market-Surveillance“, also die Überwachung eines Produktes, wenn dieses bereits am Markt ist. Klinische Bewertungen und klinische Prüfungen sind wesentlich detaillierter geregelt und vorgeschrieben als in der alten MDD.
- Neue Identifizierungsregeln für Softwareprodukte: Wesentlich schärfer als vorher regelt die MDR die Identität von Software. Dies erfolgt über Angaben in der UDI (Unique Device Identification). Damit möchte die EU Medizinprodukte leicht und sicher nachverfolgen können. Über die Vergabe von UDI-Nummern, die auf und in den Produkten sichtbar angebracht wird, kann genau festgestellt werden, wer der Hersteller ist und welche Version an welchen Kunden ausgeliefert wurde. Damit lassen sich auch illegal in Verkehr gebrachte Produkte leichter herausfiltern.
- Noch Zulassung nach IVDD (In Vitro Diagnostica Directive) möglich: „In-vitro-Diagnostikum (IVD)“ ist ein Begriff für Produkte zur medizinischen Laboruntersuchung von aus dem menschlichen Körper stammenden Proben. Diese werden außerhalb des Körpers (lateinisch in vitro ‚im Glas‘) untersucht. Anders als bei der MDR können Hersteller IVDs noch bis zum 25. Mai 2022 nach der alten IVDD zulassen. Dann gilt für die Entwicklung entsprechend nicht die MDR, sondern die IVDR (R für Regulation). Um IVD-Software handelt es sich dann, wenn die Daten für ein Software-Produkt primär aus dem Labor kommen, wie zum Beispiel das Anzeigen von Ergebnissen aus einer Laboruntersuchung wie Corona-PCR-Tests oder Hepatitis-Diagnosen. Die Risikoklassen A-D sind bei der IVDR etwas anders ausgelegt als die der MDR. Es kommt häufiger vor, dass sich Unternehmen nicht bewusst sind, dass sie nicht ein Medizinprodukt, sondern ein In-vitro-Diagnostikum entwickeln und sich demzufolge bei der Entwicklung an der falschen Verordnung orientieren.
Häufige Probleme bei der Zulassung von Medizinprodukten
Um ein Medizinprodukt zuzulassen, muss eine Zulassungsstelle – in Europa gibt es ca. 30 Stellen wie u.a. den TÜV Süd – die Konformität bestätigen. Das Problem ist, dass die Prüfstellen für die MDR lange Wartelisten haben. Anbieter, die ein Produkt zulassen möchten, können daher unter Umständen ein Jahr warten, bis der Prüftermin erfolgt. Die Wartezeit wird auch dadurch so lang, weil viele der bisherigen Produkte am Markt neu zugelassen werden müssen und die Hersteller daher erneut an die Prüfstellen herantreten. Betroffen von der MDR sind oft auch Krankenhaus-Informationssysteme, sofern sie integrierte Module haben, die ein Medizinprodukt darstellen, wie die Überprüfung von Medikamentenunverträglichkeiten oder das Monitoring von Blutdruckdaten.
Für kleinere und mittlere Unternehmen empfehle ich, das eigene Produktportfolio zu segmentieren: Welche der Produkte sind Medizinprodukte, welche nicht? Anschließend sollte zuerst die Zertifizierung des Qualitätsmanagementsystems angegangen werden. Hierbei lohnt es sich, sich an die zu zertifizierende Stelle zu wenden und die Anmeldung für die QMS-Zertifizierung nach EN ISO 13485 so rechtzeitig wie möglich zu planen. Ab sechs Monate vor einer Produktfertigstellung kann auch die Terminfestlegung für eine Produkt-Zertifizierung nach MDR mit der Prüfstelle erfolgen. Eine Prüfstelle kann die Prüfung in ganz Europa durchführen. Ein Münchener Unternehmen kann sein Produkt also auch z. B. in Slowenien zulassen. Darüber hinaus müssen noch die länderspezifischen Vorgaben beachtet werden.