Zweckbestimmung von Medizinprodukten gibt Vieles vor 💬💡

von DI Dr. Johann Krocza, MSc, Geschäftsführung HSE365.at GmbH

Die Zweckbestimmung von Medizinprodukten wird gerade bei Softwareprodukten gerne vernachlässigt. Dabei gibt sie die Entwicklung vor und ist für Auditoren ein wichtiges Instrument der Prüfung.

In der Medical Device Regulation (MDR) der EU ist gefordert, dass Hersteller für jedes Medizinprodukt, ob Software oder Hardware – eine Zweckbestimmung definieren. Für die Zweckbestimmung von Medizinprodukten müssen sie ganz zu Beginn, also bevor sie mit der Produktkonzeption oder -entwicklung beginnen, definieren: Was ist es für ein Produkt und wofür ist es gut? Wichtig ist, dass Hersteller bereits in dieser Phase der ersten Ideenfindung die Zweckbestimmung anhand der Kundenwünsche entwickeln und ihre Erwartungen mit einfließen lassen, wie es auch in der Norm IEC 62366 vorgegeben ist.

Die Zweckbestimmung von Medizinprodukten sollte folgende Fragen beantworten

  • Was ist das Produkt?
  • Welche Eigenschaften und Features hat es?
  • In welcher Umgebung wird das Produkt angewendet?
  • Was kann das Produkt?
  • Wer sind die Anwender? Wer sind nicht die Anwender?
  • Was erwarten sie sich?
  • Welchen klinisch-medizinischen Nutzen hat die Anwendung? (Dies ist nicht explizit als Teil der Zweckbestimmung gefordert, dennoch notwendig, weil sonst keine klinische Validierung erfolgen kann.)
  • Weitere gesetzliche Anforderungen, die erfĂĽllt werden mĂĽssen (z. B. von Gematik, KBV oder als Diga-Produkt)

Die MDR gibt vor, dass die Zweckbestimmung zu Beginn schriftlich festgehalten werden muss. Dabei ist die Form (Länge, Absätze, Dateiformat oder anderes) nicht festgelegt. Sie kann als E-Mail, Excel- oder Word-Datei abgelegt sein. Im Rahmen des Qualitätsmanagements muss sie allerdings erfasst, geprüft und freigegeben und jederzeit wieder auffindbar sein.

Unterschied: Zweckbestimmung und zweckmäßige Verwendung von Medizinprodukten

Auch nach dem Inverkehrbringen des Produkts ist der Hersteller dafür verantwortlich, dass die Anwender das Produkt gemäß der zu Beginn definierten Zweckbestimmung verwenden. Dies wird als „zweckmäßige Verwendung“ bezeichnet. Oft werden die Zweckbestimmung, also die schriftliche Auskunft des Herstellers zum Produkt, und die zweckmäßige Verwendung, also die nach der Entwicklung stattfindenden Handlungen der Anwender, miteinander verwechselt. Ein Beispiel: Wenn ein Produkt beispielsweise laut der Zweckbestimmung für die Diagnose bestimmter Krebserkrankungen nicht eingesetzt werden darf, ist der Hersteller dafür verantwortlich, zu prüfen, dass das Produkt dann auch tatsächlich nicht dafür eingesetzt wird und damit zweckmäßig verwendet wird. Dies kann über Audits, Umfragen oder Stichproben im Rahmen der Post Market Surveillance erfolgen. Auch Werbung, Anleitung, Verpackung etc. müssen immer der Zweckbestimmung entsprechen. Ein Hersteller darf daher zum Beispiel einen nachträglich festgestellten, weiteren Nutzen seines Produktes nicht bewerben, da er nicht in der Zweckbestimmung genannt wurde. Der Hersteller könnte die Zweckbestimmung selbstverständlich erweitern oder anpassen, muss dies aber dokumentieren und die meisten Phasen der Entwicklung und Testung daraufhin neu angehen, wodurch meist im Projekt enorme Mehrkosten entstehen. Ein einfaches „Dazuschreiben“ eines Zusatznutzens oder das Anpassen der Zielgruppe ist nicht möglich.

Zweckbestimmung weist den Weg fĂĽr Produktentwicklung

Die zentrale Bedeutung der zu Beginn entwickelten Zweckbestimmung ist oftmals in Entwicklungsteams nicht ausreichend bewusst. Aber ohne eine „sauberere“ Zweckbestimmung lassen sich die weiteren Planungsprozesse der Produktentwicklung nicht ableiten:

  • Die Risikoplanung und -bewertung sowie die Bestimmung der Sicherheitsklasse des Medizinprodukts (1-3, siehe hierzu auch der Blog-Beitrag „Risikomanagment bei Medizinprodukten“) werden aus der Zweckbestimmung abgeleitet.
  • Bei Software-Produkten wird aus der Zweckbestimmung auch die Sicherheitsklasse gemäß der Norm IEC 62304 (A-C) abgeleitet.
  • Auch das Architektur- und das Sicherheitskonzept des Produkts werden aus der Zweckbestimmung abgeleitet.
  • Die Zweckbestimmung dient als Basis fĂĽr die Informationen in der Gebrauchsanweisung, im Werbe- oder Verkaufsmaterial bzw. den Werbe- oder Verkaufsangaben. Diese dĂĽrfen nicht abweichend von der Zweckbestimmung formuliert sein.
  • Am Ende erfolgt die Validierung anhand der User Requirements, vorgegeben ebenfalls durch die Norm IEC 62304, anhand der Zweckbestimmung.

Fazit

Die Zweckbestimmung eines Medizinprodukts wird nicht nur von der MDR gefordert, sie macht auch tatsächlich Sinn für die Hersteller, wie ihre gesamte Produktentwicklung und nach dem Inverkehrbringen auch die Betreuung des Produktes von ihr bestimmt wird. Es lohnt sich, hierfür einige Stunden mehr zu investieren, um sie vollständig und sauber zu formulieren. Denn diese Stunden ersparen oft mehrere Tage oder schlimmstenfalls Wochen Mehrarbeit und die damit verbundenen Kosten während späterer Projektphasen. Daher sollte die Zweckbestimmung, obwohl sie im Vergleich zu den Studien oder zur technischen Dokumentation eher unaufwändig ist, keinesfalls vernachlässigt werden. Das werden alle Hersteller bestätigen, die jemals eine nicht vollständige oder gar falsche Zweckdefinition erstellt haben.